Programmzettel: Der Zähmung Widerspenstigkeit (2025)

Katharina,Der Widerspenstigen Zähmung „Mein Mund muss sprechen von der Wut des Herzens,
Sonst bricht mein Herz, wenn es die Wut verschweigt,
Und eh das eintritt, bin ich lieber frei
Mit Worten und so maßlos, wie ich will.“

"Mann ertränkt Frau im Gartenteich – Mörderisches Ende eines Ehekrieges“, betitelte im Mai 2020 die B.Z. den Femizid an Dorota L. bei Potsdam. Nach 15 Jahren Ehe hatte sie sich von ihrem Ehemann, Wolfgang L., getrennt, nachdem sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte und mit ihm ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Mehrfach hatte er sie im Vorfeld geschlagen und gedroht, sie und ihre Kinder im Alter von elf und 14 Jahren zu töten, wenn sie den anderen Mann nicht aufgeben würde.

Als sie übergangsweise mit den Kindern in einer Ferienwohnung lebte, überredete er Dorota, sich noch einmal zu treffen, um ihr bei der Beantragung von Corona-Hilfen zur Hand zu gehen. Als er Dorota nicht zur Rückkehr bewegen konnte, ging er mit einer Schreckschusspistole und einem Messer auf sie los. Bei der Flucht fiel sie in einen Teich. Dort stach Wolfgang brutal auf sie ein, bevor er sie anschließend schwer verletzt unter Wasser erstickte. Bei der Gerichtsverhandlung plädierte er für Notwehr und beteuerte seine Unschuld, da seine Frau ihrer Ehepflicht nicht nachgekommen sei und sie somit den Tod verdient hätte.

We know that we know.

Der Tod von Dorota L. ist kein Einzelfall. In Deutschland versucht im Schnitt jeden Tag ein Mann seine Frau oder Ex-Partnerin zu töten. Eine schockierende Realität, dieüber den Einzelfall hinaus auf ein größeres strukturelles Problem unserer Gesellschaft verweist: die systemimmanente Gewalt gegen Frauen. Denn ein im November 2023 veröffentlichtes Lagebild zu geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten legte offen, dass 2023 insgesamt 938 Mädchen oder Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten wurden. Davon wurden 360 Frauen und Mädchen Opfer vollendeter Taten. In demselben Jahr wurden 52.330 Frauen und Mädchen Opfer von Sexualstraftaten. Davon sind 70,5 Prozent, also die überwiegende Zahl, Opfer häuslicher Gewalt.

Gegenwärtig erleben wir einen Backlash gegen den Aufstieg von Frauen. Je gleichberechtigter Frauen sind, desto mehr geraten sie unter Druck, desto mehr nehmen Hass, Hetze, Sexismus und Gewalt gegen - sie zu. Die Journalistin Susanne Kaiser bezeichnet dieses Phänomen als „feministisches Paradox“. Feministischer Fortschritt und männliche Gewalt erstarken demnach gleichzeitig. Während der Wandel des Männlichkeitsbildes als großer gesellschaftlicher Kontrollverlust empfunden wird, arbeitet man gleichzeitig in den Hinterzimmern der Politik an einem autoritären Backlash, demokratische Werte umzubauen. Die drastisch gestiegene Zahl der Gewaltdelikte gegenüber Frauen macht einen verdrängten gesellschaftlichen Abgrund sichtbar, der nicht weg zu argumentieren ist.

… und wenn sie nicht gestorben sind …

Gesellschaften werden durch kollektive Erzählungen aufrechterhalten, die wir gemeinsam als universelle Wahrheit betrachten. Seit frühester Jugend sind uns die Narrative und Geschichten über die romantische Liebe vertraut. Ihre Bildvorräte haben wir in Romanen, Märchen, Serien, Filmen, Werbung und Theaterstücken immer wieder gesehen und gehört. Seit jeher begleiten uns die romantischen Verklärungen der Liebesbeziehung und der Ehe im popkulturellen Mainstream. Vorstellungen von stereotypen Geschlechterbildern, Alpha-Männerkult, Idealen von männlichen Machern und unterwürfigen Frauen haben sich in einen vorprogrammierten Lebenslauf eingeprägt, indem Emotionen und Geschlechterbilder unentwegt reproduziert werden. Wie problematisch sich dieses Script in der Realität abspulen kann, wird immer dann sichtbar, wenn die Ehe zu einem Ort wird, der die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft produziert und aufrecht erhält.

Bei Shakespeare heißen sie Rosalind, Celia, Viola oder Beatrice, fiktive Agentinnen eines romantischen Happy Ends, die nach allerlei Verstrickungen und Geschlechterverwirrungen ihr ultimatives Glück in der heterosexuellen Ehe mit ihrem Märchenprinzen finden. Auch bei Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung läuft der Handlungsverlauf auf ein Happy End in der Verbindung des groben Petruchio mit der schlagfertigen Katharina hinaus.

Also Ende gut, alles gut? Im Gegenteil: Shakespeares Protagonistin Katharina, die sich lange als widerständig durch ihr loses Mundwerk und den Willen zur Selbstbestimmung behauptet hatte, muss sich nach Petruchios brutaler „Zähmungsschule“ in das klassische Rollenbild der untergebenen Ehefrau fügen. Mit den Foltermethoden des Schlaf- und Nahrungsentzugs und eines Drohszenarios psychischer Gewalt, vermag er sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen, bis ihr eigenständiger Wille gebrochen ist. Petruchio formuliert dies unverstellt: „So mordet man mit Milde seine Frau,/ So brech ich ihren starren, sturen Geist.“ Umso erstaunlicher ist es, dass Shakespeares Stück vielfach als romantische Gender-Komödie aufgeführt und belacht wurde und der gewaltvolle Gegenstand des Stücks im Hintergrund blieb. Hinter Shakespeares Erzählung offenbart sich die affirmative Feier elisabethanischer Geschlechter-Ideologie als Wiederherstellung der traditionellen Weltordnung, die durch weibliche Widerspenstigkeit in Gefahr geraten war. Wie Shakespearesein Stück genau verstanden wissen will, lässt sich eindeutig wohl nicht mehr klären. Es geht der Dramatikerin Katja Brunner auch gar nicht darum, Shakespeare als misogynen Autor auszuweisen. Ihr Interesse gilt dem eingeschriebenen patriarchalen Grundnarrativ, inder sich eine historisch gewachsene und im kollektiven Bewusstsein zementierte Gesellschaftserzählung erkennen lässt.

She’s on strike!

In Shakespeares Vorspiel aus Der Widerspenstigen Zähmung wird für den trunksüchtigen Kesselflicker Schlau ein Theaterspiel in Gang gesetzt, das zur Lehrstunde einer Zähmung wird, bei der die weibliche Selbstbestimmung abgetötet wird. Brunner beginnt am Schlusspunkt von Shakespeares Stück, indem sie der „getöteten Frau“, in dem Fall der reanimierten Dorota L. – in Erinnerung an die Vielzahl der Femizid-Opfer – eine Bühne schenkt, um die herum ein Spektakel in Szene gesetzt wird, das im Gegensatz zu Shakespeare von den verdrängten Geschichten toxischer Beziehungen erzählt und zum Befreiungsakt wird.

Bei Brunner taucht Shakespeares Erzählung nur noch bruchstückhaft auf. Katharina weigert sich nach anfänglichem Mitwirken, den vorgestanzten Liebes-Plot mit dessen geschliffenen Reimen weiter zu reproduzieren. Sie ist des „Plottens“ müde. Stattdessen ruft sie zum Widerstand auf und trommelt eine Verschwörung der Frauen am todbringenden Teich zusammen. Sie beschwören einen sprachlichen Exzess herauf, durch den die ideologisch gefärbte Sprache des Patriarchats zerschrieben wird, indem gängige semiotische Bedeutungsfelder, syntaktische Struktursysteme und dominante Narrationsmuster aufgebrochen werden.

Die Bühnenwelt der Regisseurin Pınar Karabulut eröffnet ein Kaleidoskop wechselnder Genre-Interieurs, ein Panorama der Alpträume und Gewalt, dessen Benthamscher Wachturm von den widerständigen Frauen besetzt wurde. Die Unterwerfung der weiblichen Körper unter die kontrollierenden Blicke der männlichen Disziplinarmacht ist außer Kraft gesetzt. Die Frauen haben die Deutungshoheit über ihre Identität übernommen und räumen schonungslos mit falschen Erzählungen, männlichen Mythen und romantischen Märchen auf. Der blutige Grund des Teichs – als traumatische Urszene sexualisierter Gewalt – ist auch der imaginäre Ort, von dem Brunners Sprache ihren Ausgangspunkt nimmt. Der vielstimmige Frauenchor gleicht Wiedergängerinnen der von physischer und psychischer männlicher Gewalt Betroffenen, deren stummer Schrei aus seiner Stimmlosigkeit befreit und aus dem Schweigen, der Scham und der Einsamkeit erlöst wird. Mit einer scharfkantigen, schamlosen, zärtlichen, hoch artifiziellen, stets überfordernden Sprache arbeitet sich Brunner rastlos an den Erscheinungsformen von manifester und latenter Gewalt ab: sexuelle Übergriffe, Selbsthass, Einhegung der Frau, Übersexualisierung oder die Entwertung alles Weiblichen werden zu ihren Untersuchungsfeldern.

Brunner tastet den privaten, öffentlichen und medialen Raum der Gegenwart nach Asymmerien der Geschlechtergerechtigkeit ab und legt in der Verbindung von Vergangenem mit Gegenwärtigem eine wirkmächtige Tradition weiblicher Unterdrückung offen. Wie auf einer rasanten Gedankenautobahn wirbelt sie uns durch Momentaufnahmen der Gegenwart, lässt ikonische Bilder, Alltagssituationen und Sprachgesten ineinanderfließen zu einem Strom von Gedanken, die durch die Spielerinnen zu physischen Verkörperungen werden. Ihr Erzählprinzip ist das einer Scheherazade, die in ihrem persischen Entstehungskontext eine Sammlung von Erzählungen gegen das Töten der Frauen war. Brunners Text gleicht einem wildwuchernden Archiv, dessen Heterogenität des Stofflichen herkömmliche Ordnungsgefüge sprengt. Die einzelnen Szenen bilden eine Playlist, die einem nicht zufälligen Shuffle-Prinzip folgen, bei dem Ordnen und Neuordnen, Arrangieren und Umarrangieren zum künstlerischen Prinzip einer Neuschöpfung erhoben wird. Brunner treibt ein Spiel mit wechselnden Rahmungen, verschachtelt unterschiedliche Genres und Sujets zu einem Panorama der Alpträume. Nicht als ideologische Kampfschrift, sondern mit reichlich schwarzgefärbtem Humor, der zur Überlebensstrategie wird, indem dem heiligen Ernst der Realität mit dem unheiligen Ernst des Theaters begegnet wird.

Bei Brunner und Karabulut hat es etwas von einem entfesselten Exzess, bei dem die Urkräfte eines solidarischen Feminismus beschworen werden, der nicht gegen die Männer per se gerichtet ist, sondern gegen eine spezifische Form von Männlichkeit als Habitus patriarchaler Gewalt. Alle Frauen tragen Anteile von Katharinas Widerspenstigkeit, indem sie in einem exorzistischen Ritual das Patriarchat auszutreiben versuchen. Sie haben etwas von Hexen an sich, die im Zuge von Kapitalismus und der Emanzipation der Frauen im 16./ 17. Jahrhundert zur Projektionsfläche männlicher Ängste geworden sind und Diffamierung, Hetze, Folter und Tod auf dem Scheiterhaufen erleiden mussten. Hier wird Hexerei als Symbol für den weiblichen Widerstand reaktiviert, um transformatorische Prozesse zur Neuschreibung der Geschichte(n) der Frauen frei zu setzen. Gossip, schreibt die Philosophin Silvia Federici, war ursprünglich ein Begriff, der die Solidarität der Frauen untereinander bezeichnet hat, bis er von Männern als Zwietracht säende üble Nachrede uminterpretiert wurde, um die weibliche Kraft der Verbindung zu zerstören. Der Zähmung Widerspenstigkeit vollzieht performativ den Rückgriff auf jene ursprüngliche Bedeutung von Gossip als politische Strategie der Solidarisierung gegen die Kräfte des Patriarchats. Witchcraft strikes back. The Wonder Women occupy the stage!

Programmzettel: Der Zähmung Widerspenstigkeit (2025)

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